Quelle: Schul- und Gemeindeberatung altravista. Gesamtes Interview als PDF inkl. Bilder.
Interview mit Maria López, Flavio Manetsch, Barbara Morf, Christine Schaad und Daniela Faé sowie ein kurzer Einblick im Kindergarten Hasenbühl – altra vista, Urs Hofmann, Sept. 25.
Ein Kurzeinblick im Kindergarten Hasenbühl:
Die Kinder sind voll dabei in der Runde – konzentriert... zwei Kinder in der Mitte legen ihre Fliegenklatsche auf das gesuchte Wort – bei «langsam» auf die Schnecke, bei «Käfer» auf den Käfer. Wer schneller ist, darf einmal bleiben, das andere Kind gibt die Fliegenklatsche weiter. Es ist trotz der Wettbewerbssituation sehr ruhig – nur ein Junge ruft ab und zu ein Wort dazwischen. An seiner Seite die eine der beiden Erwachsenen – sie beruhigt ihn, zeigt ihm ein Kärtchen und bittet ihn mit Worten, ruhig zu bleiben. Für eine kurze Zeit gibt sie seinem Bewegungsdrang nach und verlässt den Kreis mit ihm.
Urs Hofmann: FSL steht für «Fokus starke Lernbeziehungen». Was bedeutet dieses Konzept für euch?
Barbara Morf: Für mich ist es der Sechser im Lotto. Ich bin so froh, dass ich seit Jahren schon so arbeiten kann. Wir sind immer zu zweit, können uns entweder in der Rolle aufteilen: Die eine leitet die grosse Gruppe, die andere kümmert sich um einzelne Kinder mit spezifischen, individuell zugeschnittenen Aufgaben oder um das Ungeplante, das immer wieder auch vorkommt. Oder wir teilen die Gruppe auf, die eine arbeitet z.B. mit den schnelleren, mit den Mädchen oder mit den älteren Kindern, die andere mit den anderen.
Urs Hofmann: Woran habe ich – abgesehen vom Teamteaching – erkennen können, dass ihr mit dem FSL-Modell arbeitet?
Christine Schaad: Das ist bei uns tatsächlich nicht so einfach. Dass Daniela sich bei deinem Besuch vorwiegend um ein Kind gekümmert hat, hat mehr mit ISR zu tun als mit FSL. Du könntest FSL z.B. wahrnehmen anhand der Binnendifferenzierung: Die Kinder arbeiten an unterschiedlichen Aufgaben, die ihrer spezifischen Förderung dienen.
Daniela Faé: Beim freien Spiel war ich ja mit drei Kindern am Arbeiten. Dabei ging es um einen solchen Auftrag, der spezifisch auf sie zugeschnitten war.
Christine Schaad: Viel von meiner DaZ-Ausbildung ist eingeflossen in die Gestaltung des Raumes. Dass wir oft mit Kärtchen arbeiten und damit Alltägliches visualisieren. Dass wir nicht einfach eine Koch-Ecke haben zum Spielen, sondern ein Restaurant, wo die Kinder in verschiedenen Rollen miteinander kommunizieren, als Koch, als Kellnerin, als Gast. Das schafft Sprech-Anreize im freien Spiel. Dasselbe gilt für unseren Zug, wo es Material hat für einen Kondukteur und Billette für Passagiere. Die Kinder sprechen miteinander, angeregt durch bewusst auf dieses Ziel hin gestaltete Räume.
Barbara Morf: Wie wir das Sprechen noch mehr fördern können, ist ein regelmässiges Thema in unseren Sitzungen. Diese Gedanken fliessen immer ein, z.B. wenn wir mit einzelnen Kindern ein Leiterlispiel machen. Oder wenn Daniela eine Geschichte erzählt...
Christine Schaad: ... und die Kinder wissen, dass es danach ein Quiz gibt zur Geschichte... Das fördert ihr Zuhören und ihr Verstehen-Wollen. Und selbstverständlich achten wir dauernd auf eine dem Deutsch-Verständnis der Kinder angemessene Sprache.
Barbara Morf: Mit Christine arbeite ich seit über 20 Jahren zusammen. Dass sie die HfH machen konnte und ihr breites Fachwissen und ihre Förderperspektive in unsere Klasse einbringt, ist ein grosser Gewinn. Im Umgang mit unseren vielen DaZ-Kindern fliesst dieses Wissen vielleicht indirekter und breiter ein, als mit den IF-Kindern, wo die Förderung gezielter geplant wird.
Urs Hofmann: Ihr seid ein eingespieltes Team – das ist sicher auch positiv für das FSL-Konzept.
Daniela Faé: Ich bin mit sieben Jahren in dieser Klasse tatsächlich die amtsjüngste. Und ich arbeite sehr gerne mit den beiden zusammen, ich profitiere viel.
Barbara Morf: Wir ja auch von dir, du bist ein wichtiger Rückhalt in der Klasse. Ja – unsere problemlose und verlässliche Zusammenarbeit ist tatsächlich eine sehr gute Basis für die Arbeit mit den Kindern. Wo die Teams nicht so gut harmonisieren, leidet das ganze Konzept. Teamteaching kann dann auch schwierig werden.
Urs Hofmann: Danke euch dreien – wir wechseln nun etwas die Flughöhe... Maria, Flavio: Was bedeutet euch der Fokus auf starke Lernbeziehungen?
Maria López: Das Grundanliegen des FSL ist ja, dass die einzelnen Klassen mit weniger Personal unterwegs sind, es sollen weniger und dafür intensiviere Beziehungen entstehen zwischen Kindern und Erwachsenen. Die DaZ-und IF-Lehrer:innen kommen nicht in die Klasse, um mit einzelnen Kindern zu arbeiten. Stattdessen beraten sie die Regelklassenlehrer:innen, dies mit einem weit geringeren Zeitaufwand. Die so frei werdenden Stellenprozente werden den Klassenlehrer:innen übertragen, sodass ein vermehrtes Teamteaching möglich wird.
Flavio Manetsch: Ich bin ein FSL-Verfechter. Das hängt auch damit zusammen, dass ich selber als Lehrer die klassischen Einsätze der IF-und DaZ-Personen oft als wenig gewinnbringend empfunden habe. Sie kommen von aussen rein, ich muss ihnen sagen, was in der Klasse ansteht, sie gehen mit einem Kind raus, kommen wieder rein – das alles sorgt für Unruhe. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit im klassischen Setting ist mit einem hohen Koordinationsaufwand und mit vielen, präzisen Absprachen verbunden. Im FSL geht vieles selbstverständlicher.
Urs Hofmann: Seht ihr auch Gefahren?
Flavio Manetsch: Ein gut funktionierendes Teamteaching ist keine Selbstverständlichkeit, es muss sorgfältig aufgegleist und regelmässig reflektiert werden. Wenn z.B. die Chemie zwischen den Lehrpersonen nicht stimmt, wird es schwierig. Auch wenn die eine Lehrperson die Klasse führt und im Lead ist und die andere «nur» als Assistenz mitwirkt, wird das dem Anspruch des FSL nicht gerecht. Die zusätzlichen Ressourcen sollen weitgehend der integrativen Förderung und dem DaZ dienen.
Maria López: Damit Lehrpersonen den komplexen Anforderungen im schulischen Alltag gerecht werden können, ist ein grundlegendes Interesse an sonderpädagogischen Fragestellungen unabdingbar. Fehlt diese Bereitschaft, besteht die Gefahr einer raschen Überforderung. Gleichermassen ist die Beratung durch IF-und DaZ-Fachpersonen nicht per se erfolgversprechend. Ihre Wirksamkeit setzt sowohl ein hohes Mass an fachlicher Expertise als auch eine gelingende Zusammenarbeit auf der Beziehungsebene voraus, die durch Vertrauen und gegenseitige Wertschätzung geprägt ist.
Während der Projektphase stellte das VSA verschiedene hilfreiche Ausbildungsangebote zur Verfügung, welche auf das FSL-Konzept ausgerichtet waren. Diese Angebote sind nun leider entfallen, wir müssen selbst dafür sorgen.
Urs Hofmann: Der Schulversuch wurde ja von der Universität Zürich ausgewertet. Ein kritisches Resultat war, dass die Kinder mit Förderbedarf in FSL-Klassen weniger gut gefördert wurden als in den Klassen, wo sie direkt mit den IF-und DaZ-Fachpersonen arbeiten. Was tut Kloten, um diesen Effekt zu vermindern?
Maria López: Der Know-How-Transfer stellt tatsächlich eine besondere Herausforderung dar. Im Hasenbühl zeigt sich eine ideale Situation, insofern als die SHP im Rahmen von Teamteaching mitwirkt und so direkt Einfluss nehmen kann auf die Unterrichtsgestaltung und die Arbeit mit einzelnen Kindern. Eine derartige Form ist jedoch nicht in allen Klassen realisierbar. Wir haben FSL-Berater:innen, die auch ISR-Kinder fördern. In diesen Fällen sind sie denselben Klassen zugeteilt, wodurch sie wöchentlich mehrere Stunden direkt in die Förderung eingebunden sind. Sie können auch Themen ansprechen, die die Lehrperson nicht von sich aus in die Beratung brächte. Die Berater:innen ohne ISR-Mandat besuchen mindestens einmal pro Quintal den Unterricht und können sich so ein eigenes Bild der Anforderungen und der Wirksamkeit der getroffenen Massnahmen machen. Wo es sinnvoll ist, z.B. in anspruchsvolle Klassen, sind sie stärker präsent.
Flavio Manetsch: Eine Stärke unserer FSL-Praxis ist sicher, dass wir den Bedarf genau analysieren und die Einsätze flexibel planen. Aufgrund von Faktoren wie Klassengrösse, Erfahrung der Lehrpersonen und Belastung durch besondere Anforderungen der Kinder teilen wir die Teamteaching-Lektionen den Klassen zu, auf der Kindergartenstufe z.B. mindestens 8 und maximal 16 Lektionen. Wir nennen das Modell «fix und flex».
Maria López: Um den Förderbedarf der einzelnen Klassen zu erfassen, machen wir jährlich ein flächendeckendes Screening. Das erlaubt uns eine genaue und recht objektive Einschätzung der Bedarfe in den verschiedenen Klassen. Ebenfalls werden die Förderplanungen durch die FSL-Berater:innen eng begleitet.
Das FSL-Modell und die integrative Förderung der Kinder mit einem besonderen Förderbedarf sind in verschiedenen Runden regelmässig Thema. Wir beobachten die Situation systematisch und sind in einem guten Austausch.
Urs Hofmann: Die Situation im Hasenbühl ist sicher ein Idealfall. Könnte sie Modell sein für die ganze Stadt?
Maria López: Das wäre natürlich toll – doch leider ist es etwas utopisch. Es gibt schlicht zu wenige Schulische Heilpädagog:innen für jedes Klassenteam. Diese müssten zudem bereit sein, Lohneinbussen in Kauf zu nehmen: Als Teamteaching-Lehrperson der Klasse sind sie Klassenlehrpersonen, keine SHP, und entsprechend tiefer entlöhnt. Das ist eine ungünstige Ausgangslage, die allenfalls korrigiert werden müsste.
Flavio Manetsch: Im Hasenbühl würden die Ressourcen nur mit FSL nicht für eine fast permanente Doppelbesetzung reichen. Dazu sind zusätzliche Ressourcen durch ISR-Kinder notwendig – die ja dann auch zu einem zusätzlichen pädagogischen Auftrag führen. Der Kindergarten Hasenbühl ist einer von zwei Kindergärten meiner Schuleinheit, wo wir ISR-Kinder integrieren. Aktuell ist es eines, es waren auch schon fünf.
Urs Hofmann: Wie geht es weiter mit dem FSL?
Maria López: Die Schulpflege Kloten hat sich entscheiden, bis zu Einführung von ME-Flex das FSL- Modell weiterzuführen. Wir werden die Praxis weiter gut beobachten und notwendige Anpassungen vornehmen.
Urs Hofmann: Ganz herzlichen Dank auch euch beiden für das aufschlussreiche Gespräch!